Wolfgang Kos

Nackte Namen
Bemerkungen zum „Monolog des Vertrauens“


Jeder hat wohl seine eigenen biografischen Eselsbrücken zu Kunst und Wissenschaft - für mich waren die Abenteuer der Jugendbücher wichtige Navigatoren, bei denen es stets „große“ Problemstellungen gab. Etwa: wird ein Schiff vorbeikommen und uns von der einsamen Insel abholen? Oder (um die Gattung der Expeditionsbücher zu nennen): wird die dünne Luft oberhalb der 8200 Meter-Marke, die „Zone des Todes“, zu meistern sein? Wichtig an Abenteuerbüchern ist, das es eine zentrale Problemstellung gibt, die der wagemutigen Unternehmung erst einen dramaturgischen Sog gibt. Große Show-Abenteurer wissen dies sehr genau und zelebrieren ihre Zielvorgabe geradezu. Wird es mir gelingen, fragen sie beispielsweise, den Mount Everest erstmals ohne Krawatte zu besteigen?

Man merkt wohl schon, worauf ich hinauswill. Ich möchte aus gegebenem Anlaß daran erinnern, daß Projekte der Konzept- oder der Prozesskunst dann mit erhöhtem Interesse rechnen können, wenn sie (a) eine präzise Versuchsanordnung aufweisen können und (b> ein entscheidendes Hindernis, ein Nadelöhr (in der Sportberichterstattung sagt man: ein Kriterium), einen Risikopunkt also, an dem Projektplanung und das Unabwägbare aufeinander treffen. Das Projekt von Mittmannsgruber und Strauß hatte offenbar von Anfang an eine Schlüsselstelle in überhängender Wand - nämlich die Frage, ob die Firmen mitspielen werden. Werden sie ihre Namen hergeben? Werden sie sie preisgeben für etwas, das das Heiligste der Firmenkultur außer Kraft setzt, nämlich die unabdingbare Einheit von Firmenname, Logo und Farbstellung. Es ging von Anfang an um die Frage der „visuellen Identität“.

Da mühen sich die Unternehmen, Beratungsfirmen und Corporate-ldentity-Spezialisten jahrelang, um ein bestimmtes Erscheinungsbild in der Kommunikationsarena zu verankern - und dann kommen zwei freundliche junge Künstler mit dem subversiven Vorschlag, Firmennamen nackt haben zu wollen, neutralisiert, anonymisiert, entleert von all den magischen und mühsam erarbeiteten Besetzungen. Die Künstler zielen dabei auf etwas wesentliches der Marktwirtschaft: auf das Auratische. Das Spiel, das sie spielen, ist jedoch nur im Kontextsystem Kunst möglich: in keinem anderen Zusammenhang wäre ein vorübergehender Verzicht der Firmen auf ihre fixierte Kommunikationsmasken denkbar. Ein wenig haben die Künstler das Risiko ihres Spiels wohl unterschätzt. Denn sie mußten letztlich froh sein, wenigstens xxx bekannte Marken gefunden zu haben, die ohne wenn und aber mittun. Viele Firmen zögerten letztlich doch, sich fremden Spielregeln zu überantworten, und manche waren wohl stutzig, weil sie für ihr Auftreten im Kunstspiel auch eine Gebühr zu bezahlen hatten. Im Verlauf ihrer Kontaktgespräche und ihres Briefverkehrs stießen die Künstler auf mannigfaltige Probleme. Sie erfuhren etwa, wie gering der Spielraum vieler Dpendancen internationaler Konzerne ist (und wie umständlich Entscheidungswege bei Multis sein können). Ein Weltgigant der Computerbranche hat immerhin drei seiner hoch qualifizierten und gut bezahlten Leute eine dreiviertel Stunde mit den Künstlern verhandeln lassen, bis klar war, daß das Recht auf die eigenen Buchstaben nicht aus der Hand gegeben werden kann, darf und soll. Andere Firmen hätte gerne mehr bezahlt, wenn nur „ihre“ Farbe verwendet worden wäre. Ohne diesen Wiedererkennungseffekt: eine Absage.

Allein die Komplexität der Verhandlungen, die dem Sichtbarwerden dieses Projekts vorhergingen, zeigt, daß es etwas unpräzise ist, wenn man bei einem Plakatprojekt von „Kunst im öffentlichen Raum“ spricht. Das Werbeplakat tritt zwar im öffentlichen Raum auf, unterliegt jedoch einer anderen Logik. Durch das Werbeplakat wird gewissermaßen privater Mitteilungsraum gekauft (auf ziemlich verschachtelte Art, wenn man all die Kostenfaktoren von Kreativhonoraren bis zur Werbeabgabe denkt>, um mitten im Chaos des öffentlichen Raumes unbeschadet zu bleiben. Wer in Plakat-kampagnen investiert, kauft damit das Recht, im öffentlichen Raum Einwegkommunikation treiben zu dürfen, also zu sprechen, ohne unterbrochen zu werden. Man bekommt gewissermaßen eine Frequenz zugewiesen, auf der man ungestört senden darf (woraus sich, da viele auf eng beisammen liegenden Frequenzen sendet, schnell ein optischer Wellensalat ergeben kann). In der Ambivalenz zwischen öffentlicher Arena und privatwirtschaftlich organisierter Message liegt jedenfalls das Wesen der Plakat-werbung. Auch Kunstvorhaben, die das Medium Plakat als Transferbühne bespielen, agieren an der Schnittstelle zwischen Öffentlich und Privat. Im Titel des Projekts von Mittmannsgruber und Strauß taucht das Wort „Monolog“ auf, aus gutem Grund.

Wichtig erscheint mir, daß den Firmen- und Produktnamen nicht nur etwas weggenommen wurde (ihr übliches Erscheinungsbild eben>, sondern daß die Logos auch etwas dazugewinnen. Bei eingeführten Marken liegen Schauen, Erkennen, Verstehen und Zuordnen ja so dicht beisammen, daß sie gar nicht mehr gelesen werden müssen, um erkannt zu werden. Bei der Affichierung nach der verfremdenden Methode dieses Projekts dagegen müssen auch vertraute „brand names“ mühsam buchstabiert werden, um ihren Sinn zurückzugewinnen. Eine Art Langsamkeitstherapie für Worte, die an schnelle Kommunikation gewöhnt sind. Eine gut gesicherte (man denke nur an die stets bereitstehenden Rechtsanwälte im Fall der Logoentwendung> Scharnierstelle der Medien- und Konsumgesellschaft wird also einen Spalt weit aufgemacht. Das Problem des Leerwerdens von einander gegenseitig austastenden Werbebotschaften wird eine Blicksekunde lang aktualisiert. Ein Staubkorn des Chaos kommt in ein System der totalen Regelung.

Die beiden Künstler haben natürlich nicht im üblichen Sinn „gestaltet“, sondern eher auf wohlüberlegte Weise auf individualisierende Gestaltung verzichtet. Sie wollten die Anonymität der neutralen Mitte finden, woraus sich sehr rationale Entscheidungen ergaben: für die DIN-Schrift, für ein mittleres Gelb, für ein simples Kombinationssystem (pro Buchstabe ein Plakatbogen, also eine Art „Scrabble“-System), für die Schwarz-Gelb-Balken. Auf diese sind wir konditioniert, wir erkennen sie blind als Signal der größmöglichen Gefährlichkeit. Und doch ist das Nebeneinandersetzen von Schwarz und Gelb nichts anderes als das Erzielen des größtmöglichen Aufmerksamkeitsimpulses, eine statistisch ermittel-bare Übersetzung des Wortes „Achtung“ ins Visuelle. Man könnte auch sagen, es hat sich ganz logisch „ergeben“, wie die Plakatwände aussehen werden, nachdem einmal die Vorentscheidung zur größtmöglichen Anonymisierung bei gleichzeitig größtmöglicher Wahrneh mungsintensität gefallen war.

Nicht ganz so risikoreich wie die Frage, ob die Firmen „mitspielen“ würden, war wohl die Frage, ob in der Plakatbranche Bereitschaft für eine Kooperation bestünde. Die Deutsche Städte-Reklame hat ja inzwischen eine mehrjährige Tradition im „alternativen“ Bespielen der Bühne Plakatwand durch Plakatprojekte von Künstlern, anläßlich der Documenta wie auch unabhängig von solchen Großveranstaltungen. Das heißt: es hat sich auf beiden Seiten Know-how angesammelt - bei den Künstlern und beim Plakatunternehmen. Allerdings würde ich mich freuen, wenn sich bei dieser Aktion - jeder Buchstabe wird ja, wie gesagt, einzeln geklebt - interessante Klebefehler und Sinnstörungen ergeben würden. Und ich schließe mit einem Appell von Ernst Jandl, den Peter Weibel einst dem Buch „Logokultur“ vorangestellt hat: „Feucht euch des Klebens“.

Publikation Monolog des Vertrauens, 1995. top