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Sabine Vogel Demokratie, öffentlicher Raum Wien Weiß auf schwarzem Untergrund leuchtet das Schlagwort "Demokratie" auf insgesamt 800 Großplakaten in Wien. Hier prangt ganz unkommentiert eines der größten Zauberworte des 20. Jahrhunderts mitten in der Stadt. Ein Begriff, über den sich eine Gesellschafts- bis Wirtschaftsordnung legitimiert. "Demokratie" ist zugleich ein Zustand, ein Prozeß und eine Forderung. 1971 benannte Joseph Beuys seine "Organisation der Nichtwähler" in die "Organisation für direkte Demokratie" um und verlangte Volksabstimmung, d.h. Selbstbestimmung, statt "Parteiendiktatur". 1972 diskutierte Beuys auf der "documenta 5" 100 Tage lang mit den Besuchern über seine Ideen der direkten Demokratie. 2002, dreißig Jahre später, wird Okwui Enwezor die documenta 11 unter dem Thema "Democracy - unrealized" eröffnen. Gleichzeitig klebt dieses Plakat in einer heiklen politischen Situation: in der Hauptstadt eines Landes, das mit einer ungeliebten und ungewollten Regierungskoalition konfrontiert ist. Stimmenmäßig hatte die SPÖ gewonnen, die jetzt aus der Opposition heraus die Folgen ihrer gescheiterten Koalitionsverhandlungen verfolgen kann. Denn regiert wird Österreich von der ÖVP und der umstrittenen FPÖ. Aber kann überhaupt für ein politisches System geworben werden - oder wird dieses gefordert? All dies fällt mir ein, wenn ich "Demokratie" auf den Plakaten lese. Zwei Elemente allerdings irritieren den freien Assoziationsfluß: Großplakate sind ein teures, rein kommerzielles Medium, das ausschließlich der Werbung dient. Die lauten Flächen prägen unser Stadtbild und sind mit aller kreativen Kraft darauf angelegt, unsere Aufmerksamkeit zu erhalten, für Sekunden, aber lang genug, um ihre Botschaft zu vermitteln: Erinnere das Produkt, kaufe mich! Die Sprache der Werbung ist ein Monolog der Konsumaufforderung. Eine Auswahl an Informationen, ein Thema wie "Demokratie", findet dazwischen eigentlich keinen Platz. Das zweite Element sind jene zwei Bögen, die das Fragment eines Namens, eines Firmenlogos oder eines Werbeslogans zeigen. Als würde ein darunter verborgenes Werbeplakat in den Begriff hineinragen, unterbrechen diese Teile die Kraft der Demokratie. Wer ist hier der Absender? Auf dem Plakat ist nichts vermerkt, aber in einer parallel geschalteten Aktion in der Zeitschrift "Profil" kann man es lesen: Das Plakat stammt von den beiden österreichischen Künstlern Otto Mittmannsgruber und Martin Strauß. Seit fünf Jahren plazieren die beiden Wiener ihre Kunstprojekte auf Großplakaten. Die Differenz zwischen tatsächlicher und potentieller Nutzung des Mediums ist ihr Ausgangspunkt. Ihre Plakate kleben an so prominenten Orten wie Straßenbahnhaltestellen, verkehrsreichen Straßen oder urbanen Plätzen - Situationen, die Zeit lassen für einen längeren Blick, der sich hier mit "Demokratie" zu befassen hat. Daß ihre Plakate keinesfalls Werbung sind, wird aus dem Motiv, spätestens aber durch die Serie offensichtlich. Denn die wenigen, auf hohen Wiedererkennungswert hin ausgesuchten Ausschnitte stammen von unterschiedlichen kommerziellen Werbeplakaten, u.a. Fanta, der Bekleidungsfirma "Ottoversand", den Telefonanbietern "Priority" und "One", "Radio RTL" oder der Marke "Gespritzer". In dieser Kombination von Demokratie und Werbung stellen die Künstler nicht nur Demokratie als parteipolitische Entscheidungsstruktur zur Diskussion (ihr "Demokratie"-Projekt hatten sie vor der neuen Regierung geplant), sondern auch die Frage nach demokratischen Strukturen in der Nutzung von Großplakaten. Welchen Stellenwert haben Werbung und Wirtschaft in gesellschaftlich relevanten Entscheidungsprozessen - und wer hat in diesem Prozeß eine Stimme? Gerade weil ihre Plakate keine eindeutige Stellung beziehen, keinen Kommentar liefern und auch durch keine kunstinstitutionelle Anbindung entschärft werden, reizt es jeden Passaten zur intensiven Auseinandersetzung. "Demokratie" macht auf eine höchst suggestive Weise deutlich, daß der öffentliche Raum ein politischer Raum ist, daß Großplakaten darin einen höchst prominenten Platz einnehmen - und das genau hier gesellschaftspolitische Themen gewöhnlich ausgesperrt sind. Selten trifft der leider modische Begriff des Intervenierens von Kunst so deutlich zu wie in diesem Projekt: Hier werden Normen und bestehende Strukturen reflektiert. Ohne Kunstesoterik und Propaganda fordern die Plakate zu Veränderungen auf: den Monolog der Werbung im Medium Großplakat durch andere Sprachen zu durchbrechen - und einen Teil der Flächen demokratisch und kostenlos für werbefreie Stimmen freizuhalten, die gerade im öffentlichen Raum politische Themen zur Diskussion stellen können. Über Demokratie kann man heute noch mehr als vor dreißig Jahren hundert Tage lang reden. artforum, 2/2001 top |
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