Birgit Flos

Plakate in der Landschaft

Das Projekt
Am Anfang eines Science-fiction-Films aus den frühen 80er Jahren über die Endzeitstimmung in den Metropolen findet der Protagonist eine Brille im Müll, die seine Wahrnehmung schärft: All die bunten Bildtexte und Stadtbotschaften der Werbung reduziert diese Brille auf ihren harten Kern - Machtanspruch und Kaufzwang. Es ist die Frage, auf welche Aussage eine solche Brille die Projekte reduzieren würde, die sich um dezidiert andere öffentliche Texte auf Werbeflächen bemühen.
Vorzustellen ist ein “Kunstprojekt im öffentlichen Raum im Medium Großplakat” von MEZ (Otto Mittmansgruber und Martin Strauss): Insgesamt sechs (von drei Küstlerinnen, zwei Künstlern und einem Künstlerduo entworfene) Großplakate zum Thema ‘Fremd’ sind in den Sommermonaten Juli und August 1997 in den verschiedenen Regionen Niederösterreichs an den üblichen (gewerblich vermieteten) Stellen affichiert. Jedes der sechs Plakate wird in nur einer Region geklebt, das heißt, es gibt keine Überschneidungen der Motive und eine Streuungsdichte, die kommerziellen Plakatierungen entspricht.
Das Motto der Aktion - ‘Fremd’: Bewußtmachungsstrategien in Form öffentlicher Appelle scheinen proportional zur Dringlichkeit der angesprochenen Krisen leerzulaufen. Wie präzise müßten die konkreten Zielvorstellungen einer Mobilmachung formuliert sein, daß ihnen massenhaft Folge geleistet würde?1) Wohlüberlegte Jahresthemen internationaler Gremien, die eine besonders gefährdete Minderheit oder ein Problemfeld ins Zentrum der Aufmerksamkeit
rücken, schüren eher die Sorge um die solchermaßen Ausgesonderten für die Jahre nach diesem mehr oder weniger verordneten Betroffenheitsschub. Für 1997 hat die EU (aus erschreckend vielen gegebenen Anlässen) das Motto “Gegen Rassismus und Fremdenhass” formuliert. Die Plakataktion, von der hier die Rede ist, bezieht sich auf dieses Motto. Es wurde allerdings modifiziert: “Weil die Veranstalter glauben, daß für das heutige Österreich Rassismus, im engeren Sinn einer Rassenideologie, kaum als vorwiegendes gesellschaftliches Phänomen und Problem zu bezeichnen ist, haben sie das Thema des Projekts breiter angelegt und den eingeladenen Künstlern den Titel ‘Fremd’ als inhaltliche Vorgabe gestellt.”2) Klingt das nicht nach Aufweichung und Entpolitisierung des Themas, insbesondere nach dem Beschluß einer Ausländergesetzesnovelle, die die österreichische Innenpolitik ausländischen Mitbürgern gegenüber (und solchen, die es werden wollen) zu einer der restriktivsten in Europa macht? Kann nicht mit diesem weichen Assoziationsbegriff ”fremd” der aktuell gesellschaftliche Kontext elegant umschwommenn werden? Sofort taucht der Verdacht einer Vermeidung der wirklichen Probleme auf, der Verdacht einer Alibihandlung, zumal, wenn eine solche Aktion von den zuständigen kulturpolitischen Stellen der Landesregierung gewünscht und unterstützt wird.
Fremd kann viel sein. Fremd ist alles Unvertraute. Fremd kann mir das eigene Spiegelbild entgegentreten oder die, die mir am nächsten stehen. Fremd bin ich mir selbst und den anderen. Das ist es eben. Damit fängt es an. Mit der Defintion und dem Austasten des je eigenen Fremden. These: Durch das Zurücknehmen auf Reaktionen und Befindlichkeiten auch im individuellen Bereich kann ein allgemein gesellschaftliches politisches Thema, auf das möglicherweise mit automatischer Abwehr oder ebenso folgenloser Betroffenheit reagiert wird, für das Ausprobieren anderer Überdenkens- und Verhaltensmuster aufgebrochen werden. Das Problemfeld wird gleichzeitig allgemeiner und persönlicher. Was bedeutet für mich fremd, wie reagiere ich darauf, wie gehe ich damit um?
Das Thema ist auch auf der organisatorischen Produktionsebene des Projekts eingebaut: Es wurden Künstlerinnen und Künstler um ihre Entwürfe gebeten, von denen anzunehmen ist, daß sie sich einen Blick von außen bewahrt haben. Die Skepsis: Warum sollten Künstlerinnen, die beispielsweise aus Deutschland oder den USA kommend schon jahrelang in Österreich leben, einen fremden Blick oder den sensibilisierten Blick auf das Fremde eher mitbringen als exotische Einheimische oder beipielsweise Österreicher, die ‘in der Fremde’ leben? Ja, natürlich, aber die Grammatik eines Projektes ist eine Versuchsanordnung und hat per se eine überzeugende Stärke, wenn sie konsequent angewendet wird. In diesem Fall scheint die Auswahl nach diesem Kriterium funktioniert zu haben, weil eine differenzierte Variationsbreite an Lösungsvorschlägen angeboten wurde. Außerdem ist es ebenso sympathisch wie riskant, wenn in einer Gegenbewegung zu nationalstaatlichen Profilierungsanstrengungen (oder auch gegen starke Identitätsbedürfnisse in der Region) ‘die Zugereisten’ um ihren Beitrag gebeten werden. Ganz abgesehen davon, daß sich das Künstlerduo MEZ durch das Einbeziehen der anderen Produzentinnen und Produzenten für eine geöffnete kooperierende Produktionsweise und gegen ein Insistieren auf dem eigenen Gestaltungswillen entschieden hat. Auch das scheint dem realisierten Konzept (politisch) wesentlich zu sein.
Plakatwerbung und Kunst (Ein Exkurs in Stichworten)

Künstler haben sich seit dem Zeitpunkt, ab dem sich Plakattechniken zu entwickeln begannen, mit diesen auseinandergesetzt und sich an ihrer Gestaltung beteiligt. Zu untersuchen wäre, wann die Trägermedien der Werbung von künstlerischer Seite für politische oder selbstreflexive Zwecke, das heißt auch als Werbung für Kunst, eingesetzt werden und wann Künstler ihre kritische Aufmerksamkeit auch auf die Funktionsweisen der Werbung selbst richten. Dazu werden hier ein paar Stichworte herausgegriffen. Das Pariser Centre Pompidou inszenierte Anfang 1991 die Großausstellung Art & Pub.3) Der Schwerpunkt der Ausstellung lag auf den diversen Künstlerbeiträgen zur Entwicklung der Werbung. Die umgekehrte Strategie, wie die Kunst das Medium Plakat in einer kritischen gesellschaftlichen Praxis eingesetzt hat, wurde zwar behandelt aber als sekundäres Phänomen. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts (das heißt fast gleichzeitig mit dem vielgefeierten ersten kommerziellen Auftreten des projizierten Films) werden die technischen Voraussetzungen für den Mehrfarbendruck nach Rasterverfahren entwickelt. Der erste Künstlername, der mit der Entwicklung des Plakats verbunden ist: Henri Toulouse-Lautrec. Er entwirft bekanntlich die Werbung für das Cabaret Moulin Rouge, für die Tänzerin La Goulue und den Gummimenschen Valentin le Désossé. Die Ankündigungsplakate geraten umgehend auch zu Sammlerobjekten und werden gerade frisch geklebt von den Pariser Mauern wieder abgelöst. Die Entwicklung des Plakats als Medium reagiert auf die Veränderungen des Alltagslebens: Zwischen Wohnung und Arbeit legen sich für immer mehr Menschen immer weitere Wege. “Der Adressat (des Plakats) ist nicht der lesende, zuhörende, in Ruhe nachdenkende Mensch, der sich vorsätzlich politischen Fragen widmet, sondern der sich unterwegs Befindliche, der zur Arbeit, zum Einkauf oder zum Termin eilt. Dieses Vorübergehen nutzt das Plakat. Es soll den Menschen, der sich mit dem intendierten Appell möglicherweise sonst nicht befassen würde, mit optimal plazierten und großformatigen Aufrufen gleichsam im Flug ansprechen, die nur einige Schritte währende Aufmerksamkeitsspanne maximal nutzen und schnellstens eine Botschaft vermitteln. Volles Verstehen und tieferes Verarbeiten sind dabei nicht wesentlich. Die Auftraggeber verüben gewissermaßen einen ‘Anschlag’ auf die Psyche der Vorübergehenden“.4)
Heute fährt man eher an den Plakaten vorbei. Die Funktionsgeschichte des Plakats verläuft bekanntlich auf dem Schienenpaar: Produktwerbung und politische Propaganda. Die Liste der bildenden Künstler, die zum Broterwerb für die Plakatwerbung gearbeitet haben, ist lang: als Beispiele seien herausgeriffen: Magritte, Schwitters, El Lissitzki etc., Warhol natürlich, bevor er zur bildenden Kunst wechselte. Die Liste der Künstler, die Konzept und Bildsprache der Werbung in ihrem Werk verwendet haben, ist unerschöpflich: die Kubisten, Léger, die italienischen Futuristen, Carlo Carrá, Sonia Delaunay etc.. Marcel Duchamp verändert 1916, ein Jahr bevor er seine ”Fontaine” ausstellte, auf dem Plakat für eine Möbelfarbe die Firmenaufschrift in ‘Apolinère Enameled’ (ursprünglich hatte es ‘Apolin Enamel’ geheissen). Ein kleines Mädchen bemalt die Pfosten eines Bettgestells. Aus einem banalen Sujet wird durch die Assoziationsschichten des veränderten Produktnamens eine enigmatisch ver-rückte Darstellung.
Natürlich wird Dada Strategien der Werbung benutzen, pervertieren, umfunktionieren. Und die Dadaisten verstehen ihre Anschläge auf den öffentlichen Geschmack durchaus als Zivilisationskritik und als Agitation gegen den Krieg. Das grob verkürzende namedropping der in Methoden der Werbung engagierten Künstler geht weiter über die Nouveaux Réalistes im Frankreich der 60er Jahre und zeitgleich zu Richard Hamilton und seinen Künstlerfreunden in London, um schließlich 1964 am Nullpunkt der Brilloboxen von Warhol anzukommen. “Das ist der Moment, von dem an die Kunst nur noch an ihrem eigenen Gedenken arbeitet. Sie ist zu einem geschlossenen System geworden, l´art pour l´art. Von dort dringt nichts mehr nach außen. Und doch bedeutet die Kunst eine Konfrontation des Menschen mit der Illusion der Welt und die Beherrschung dieser Illusion durch eine symbolische Repräsentation. Allerdings sehen wir heute, daß die zeitgenössische Kunst nicht mehr von dieser Illusion spricht, daß sie nicht mehr versucht, sie zu beherrschen. Sie spielt mit ihrer eigenen Geschichte und das ist eine schwache Strategie. Die Kunst erschöpft sich in einem Spiel, bei dem sie sich zu nichts verpflichtet, bei dem es auch keine Spielregeln mehr gibt. Sie wirbt für sich selbst.“5)
Es gibt natürlich den zweiten Kunst/Plakat-Strang, der in der Erwähnung von Dada Praktiken angeklungen ist, bei dem die Kunstplakate weniger selbstreflexiv “für die Kunst werben”, sondern eine mentale Attacke auf den Betrachter initiieren, einen politischen Appell, zur Bewerbung/ Demonstration einer gesellschaftlichen Haltung. “Kunst” schrieb A.V. Babicev, der die ‘Arbeitsgruppe für objektive Analyse’ leitete, 1921 “ist die qualifizierte Bearbeitung der konkreten Aufgaben, die das gesellschaftliche Leben stellt … . Indem sie Gegenstände und Ideen organisiert, organisiert die Kunst das Bewußtsein und die Psyche der Massen, wenn sie zu gesellschaftlichem Eigentum wird.”6) Zur Arbeitsgruppe gehörten auch Alexander Rodcenko und Varvara Stepanova. Zwischen 1923 und 1925 entwerfen der Dichter Vladimir Majakovskij (Text) und der Konstruktivist Rodcenko (Bild) gemeinsam Plakate für diverse sowjetische Staatsbetriebe (Moselprom, Rezinotrest etc.). Minimaler Aufwand und ein Maximum an Rationalität, so beschreibt Rodcenko diese Aufgabe: Sie benutzen unter anderem die Mittel der Fotomontage und die Kompositionsprinzipien des Konstrukivismus. Die Technik der Fotomontage wurde in mehreren Ländern fast zeitgleich erstmalig eingesetzt mit verschiedenen agitatorischen Zielrichtungen: “Zu Beginn der zwanziger Jahre entwickelte die sowjetische Avantgarde (sowie einige Mitglieder der De Stijl Gruppe, vom Bauhaus und der Berliner dada Bewegung) verschiedene Strategien, mit deren Hilfe die historischen Grenzen des Modernismus überwunden werden sollten. Sie erkannten, daß die Krise der Darstellung nicht zu lösen war, ohne sich zugleich mit den Fragen der Distribution und des Adressaten zu beschäftigen. Architektur, utilitaristisches Produktdesign und fotografische Faktografie gehörten zu jenen Praktiken, die die sowjetische Avantgarde für geeignet hielt, um diese neuen Modi simultaner Kollektivrezeption zu etablieren”.7) Die Fotomontage ist eine der wesentlichen künstlerischen Techniken, die im Medium politisches Plakat (aber auch der Produktwerbung allgemein) eingesetzt werden. John Heartfield (1891-1968) hat diese Methode in unzähligen großartigen Arbeiten sowohl für das Produktdesign von Büchern als auch für die politische Agitation auf Plakaten eingesetzt. Vielleicht kann man von ihm den Bogen zu Klaus Staeck (geb. 1938) schlagen, der in den 6oer Jahren die fotografische Kollisionsmontage auf seinen bitterbösen Plakaten gegen die gesellschaftlichen Zustände in Deutschland verwendet hat. Damit wären wir fast schon bei den zeitgenössischen Praktiken politischer Arbeit im Medium Plakat. Einige Namen der Branche: Victor Burgin, Peter Dunn und Loraine Leeson in Großbritannien, Barbara Kruger, Les Levine, Jenny Holzer in den USA.
Es folgen drei Beispiele für Kunststrategien, die dem Werbeträger Plakat immanente Aussageformen - Appell, Aufforderung, Anpreisung - zu überschreiben und in ein politisches Feld einzubauen. Sie scheinen typisch für eine Phase der künstlerischen Arbeit in einem öffentlichen Raum, in der es vor allem erst einmal darum gehen mußte, ein für die kommerzielle Werbung reserviertes Territorium für andere Aussagen zu besetzen.Typisch für die Arbeiten von Victor Burgin ist der parallele Einsatz von Sprache und Bildmaterial. Ein Plakat aus dem Jahr 1976 zeigt in der Mitte das Foto eines Liebespaars. Über diesem Foto steht: “What does possession mean to you?” und unter dem Bild: “7% of our population own 84% of our wealth”. Das Plakat wurde in einer Auflage von 500 Stück in den Straßen von Newcastle upon Tyne während einer Ausstellung von Victor Burgins Arbeiten affichiert.8) Eine Aktion, die die Bildsprache der Werbung (ein zärtliches junges Paar kann für die Bewerbung einer ganzen Produktpalette eingesetzt werden) für die Bewußtmachung/ Plakatierung eines gesellschaftlichen Tatbestands (bekannt aber verdrängt) benutzt, aber zu keiner konkreten Handlungen aufruft. Die community-artists Peter Dunn und Loraine Leeson entwickelten im berüchtigten Dockland Entwicklungs- und Spekulationsgebiet von East London Großplakataktionen (Das Docklands Community Poster Project, 1982 -83). Unter dem Titel ‘Big Money is Moving in’ wurde Großplakate (ca. 5,50 cm x 3,66 cm /18 x12 ft) an verschiedenen Stellen des Quartiers angebracht, die die exploitativen Praktiken der Investoren entlarven sollten. Eine Besonderheit dieser Plakataktion (die formal mit Methoden der Fotomonage arbeitete): die Plakatwand veränderten sich stufenweise durch das Einbeziehen immer neuer Informationen, bis auf der Gesamtfläche ein ganz neuer Bildinhalt entstanden war. In diesem Fall war die Kunstaktion im öffentlichen Raum auf ein konkretes Problem bezogen, in dessen unmittelbaren Diskussionszusammenhang die Künstler einbezogen waren. Ergebnisse der Bewußtseinsbildung auf der lokalen Ebene wurden so veröffentlicht und vertieft. Eine direkte Intervention in laufende Prozesse war intendiert. (Es wird nicht nur dieser Plakataktion zu verdanken sein, daß sich das Docklandprojekt in der Folge zum finanziellen Disaster entwickelte und in der zunächst geplanten Form scheiterte.)
Der in Dublin geborene amerikanische Künstler Les Levine bezeichnet sich selbst als ‘media sculptor’ und als Erstbenutzer, bzw. auch Erstformulierer des Begriffs ‘media art’. Seit den 6oer Jahren, also vor den ‘next generation’ Künstlern wie Jenny Holzer, Barbara Kruger, Gran Fury etc. benutzte er in seinen Aktionen den ‘Raum’ der (Plakat)Werbung außerhalb der Galerien und Museen für seine Aussagen. Zwei formale Elemente gehören auf seinen Billboards typischerweise zusammen: der gemalte Bildinhalt (Siebdruck oder Computer-Laser-Druck, klare Formen und Farben, optisch so flach wie möglich) und eine Wortinformation: nur zwei oder drei Wörter, meist ein Imperativ, als besonders involvierende, Widerspruch provozierende Form. Die Aufforderungen sind nicht eindeutig: z.B. Blame God! Loose Yourself! Imitate Touch! Die Werbefläche löst Feedbackmechanismen aus: Wie funktioniert mein Kopf, wie arbeiten meine Gedanken? Wie kommt der dazu, mir zu sagen, was ich zu tun habe? “Billboards are the exterior aspect of mass media. Through advertisement they make contact with the public in the absence of any initiative on the public´s part. As one sees them primarily while in motion, one has to feel some sense of essentiality to bother with them at all … . What makes a good billboard work is that you feel the information was meant for you. Pretty much when a lover blows a kiss, you don´t look over your shoulders.”9) Les Levine arbeitet an der kritischen Auseinandersetzung mit den Kontrollmechanismen, die die Massenmedien im öffentlichen Bewußtsein installieren. “The nature of all media is to generate anxiety in the hope that that anxiety will be transformed into desire. I don´t think my work alleviates the anxiety of media. I think it uses it to show the source of that anxiety.” Es ist Les Levine der Vorwurf gemacht worden, daß er sich mit seinen Aktionen nie sehr weit von einem Kunstkontext wegbewegt hat (das gleiche würde für die Arbeiten von Jenny Holzer und Barbara Kruger gelten), das heißt, daß er, wenn er seine Plakate schon nicht direkt innerhalb von Museen oder Galerieräumen ausstellt, dann doch in niedriger Auflage und in nächster Nähe von solchen Institutionen, wie zum Beispiel 1987 auf der Dokumenta 7 in den Straßen von Kassel auf der Strecke vom Bahnhof zu den Austellungsorten. Einige Aktionen von Les Levine müssen von dieser Kritik ausgenommen werden. Die zum Beispiel von 1982 (zum Thema Fremd und Fremdenfeindlichkeit), die in großer Auflage an den Innenwerbeflächen der New Yorker Subwaywagen affichiert war. Auf einem Foto sah man einen Mann und eine Frau, beide Asiaten. Sie schauten den Betrachter zuversichtlich lächelnd an. Die Aufschrift lautete: ‘We are not afraid’. “Diese Aktion hatte ein unglaubliches Echo. Zum ersten Mal wurden die exponierten Werbeflächen der Subway für etwas benutzt, das nicht zum Konsumieren aufrief, sondern diesen ermutigenden Klang hatte.”
Die Kunst bediente sich seit langem explizit der Mittel der Werbung oder rekurriert in vermittelter Form künstlerisch auf sie. Das Vorkommen von Plakaten ohne explizite Produktwerbung im Stadtbild ist inzwischen ein immer wieder auftretendes Phänomen und kann per se nicht automatisch als Beitrag zur Schaffung einer kritischen Wahrnehmungsdistanz gewertet werden.11) Inzwischen befinden wir uns in den 90er Jahren, in denen sich Kunst wieder mehr auf die Ausbildung einer kritischen Gegenöffentlichkeit konzentriert und in der von ihr verstärkt eine Haltung erwartet wird, die Handlungs-und Kritikfähigkeit fördert.
Seit 1990 gibt es in Wien die Aktionen des ‘museums in progress’, das sich als “flexibles Museum ohne Haus versteht, das seine Austellungen dort einrichtet, wo sich das Publkum bereits befindet: vor Plakatwänden und Zeitungsseiten zum Beispiel. Das bedeutet, daß im spezifischen Kontext neben der Botschaft der einzelnen Arbeit immer auch Bedingungen und Möglichkeiten ästhetischer Produktion mitverhandelt werden”.12) Das ‘museum in progress’ realisierte Plakatatkampagnen von Künstlern für die österreichische Fluglinie Austrian Airlines , u.a. von Gerwald Rockenschaub, Bernard Bazile, Felix Gonzales-Torres, Beat Streuli.
Zu erwähnen sind auch die immer mal wieder auftauchenden erratischen Bildtexte, die mit athmosphärischen Konnotationen im Stadtbild arbeiten, wie z.B. das Projekt von Ingeborg Strobl KALT. An den Wiener Plakatflächen war im Winter die Schnauze eines weißen Hasen zu sehen mit dem gelben Aufdruck KALT. Monate später, im Dezember 1995, hatte eine Installation von Plakaten eines toten Hasen in der Remise den gleichen Titel: KALT.13) In den Sommermonaten 1997 kann man in Wien den Schriftzug ‘vergessen’ plakatiert sehen, Absender: die e.-mail Addresse einer Gruppe, die sich mit diesem Themenkomplex befaßt.
Die ungelöste Frage all dieser Kunstaktionen im öffentlichen Raum bleibt, inwieweit sie sich wirklich in ein anderes gesellschaftliches Handlungsfeld begeben (wenn das überhaupt intendiert ist) und nicht eher die Ausstellungsmöglichkeiten für Kunst in den öffentlichen Raum transponieren. Michael Lingner gibt hierzu eine Art Gebrauchsanweisung: “Wenn ästhetische Erfahrung allein im Vollzug von Kommunikation möglich ist, muß der für die autonome Avantgardekunst bestimmende Zirkel ihrer extremen Selbstbezüglichkeit durchbrochen werden. Statt nur auf die Plazierung im realen oder imaginären Museum zu reflektieren, sollte sich der Gesamtkomplex künstlerischer Praxis auf die jeweiligen realen Kommunikationsbedingungen beziehen. Dazu gehört es zum Beispiel, bestimmte Orte, Personen oder Handlungen und andere spezifische situative Gegebenheiten in all ihren ästhetisch relevanten Dimensionen in das künstlerische Kalkül einzubeziehen. Anknüpfungspunkte und Motivationen für ästhetisches Kommunzieren ergeben sich um so eher, je stärker auch alltägliche Gebrauchs- und Bedürfniszusammenhänge Berücksichtigung finden. Durch solche Fremdreferenzen ist die Hermetik autonomer Kunst und ihrer Ausstellungsformen überwindbar.”14)


Mittmannsgruber/Strauss

‘Fremd’ ist die vierte Kampagne im Medium Großplakat, die Otto Mittmannsgruber und Martin Strauss im öffentlichen Raum durchführt. Bei den ersten drei Aktionen (‘Monolog des Vertrauens’, 1995: Dekonstruktion von Firmenlogos, ‘Testbilder’, 1996: Lochraster über kommerziellen Plakatflächen und ‘13 Tote Österreicher’, 1997: Phantombilder der populärsten österreichischen Kulturgrößen) wird eine langfristige Strategie immer deutlicher. Das Auffallendste: die Plakate verlassen den Ort ihres Mediums nicht und lassen sich auf keinen Fall auf eine bloße Umfunktionierung des Mediums reduzieren. Eine solche Strategie würde die übliche Erwartungshaltung gegenüber einer Plakatkunstaktion bedienen: alternative Plakate auf den kommerziellen Flächen werden benutzt, um eine dezidiert andere (nicht kommerzielle) Aussage zu machen. Die Skepsis immer neuen ‘anderen’ Plakataktionen gegenüber begründet sich auch darin, daß die kommerzielle Werbung viele dieser Umkehrungsstrategien formal bereits mitdenkt und ihrerseits wieder ironisch bricht usw. in einer Endlosschleife des ironischen Zitierens, in der ein Wahrheitsbeweis selbst auf der Ebene der Suggestion nicht mehr vorgegeben wird, geschweige denn auf der einer Produktinformation.
Mittmannsgruber und Strauss lenken die Aufmerksamkeit auf das Medium Plakat selbst, auf die subkutane Art wie es Autorität und Kontrolle ausübt, wie es die Blicke konditioniert und den Erfahrungshorizont einengt. Das passiert in der Plakatwerbung in einer alltäglichen, umgangsprachlichen Weise. Die totale Blickgängelung wird zur zweiten, augenzwinkernd akzeptierten Natur. In der Aktion ‘Monolog des Vertrauens’ reduzierten sie die Anpreisungen der Firmenleistungen auf deren wahren Kern, das Ausstellen der Firmennamen. Und obwohl bei dieser Plakataktion die Firmennamen in einer strikten Buchstaben-`Scrabble´-Logik 15) gleichbehandelt, gleich entstellt werden, sind doch die Logos dadurch eben nicht zerstört, sondern ‘schlagen’ auch in dieser pervertierten Form durch und behaupten ihre enorme power als mentales Bild. Die Logos müssen neubuchstabiert werden. Diese Aktion ist so etwas wie ein Test, ob die Logos bei all den Anstrengungen und Kosten, die die Firmen auf sich genommen haben, um ihre ‘corporate identity’ durchzusetzen, auch wirklich gelernt wurden. Minimale Lesekenntnisse sind noch vorausgesetzt. Gefahr ist im Verzug, daß sich die Lesekompentenz der Konsumenten graduell so entwickeln wird, daß sie sich nur noch auf das Wiedererkennen dieser Firmennamen beschränkt. In den U.S.A. wurde in den Metropolen ein solcher Analphabetismus bereits in erschreckend hohem Maß diagnostiziert. Die Lesehürde bei den dekonstruierten Zeichenkombinationen verlangt noch das Zusammensetzen einzelner Buchstaben, geht von den blinden Wortzeichen der Firmenlogos noch einmal einen Schritt zurück zur Logik von Zusammenhängen.
Die Haltung der beiden Künstler ist wohltuend unpädagogisch und nicht denunzierend. Sie zeigen Tatsachen auf. Reduzierte Aussagen wie: Werbung lügt, Werbung manipuliert, Werbung ist böse würden hier lächerlich kurz greifen. Die Werbung lügt nicht, ihre Macht ist unbestritten und real. Dieses Phänomen ist aufzuzeigen. Es ist nur folgerichtig und ein funkelndes Detail der Aktion, daß die Firmen kooperieren (sie tun gut daran), daß sie sogar dafür bezahlen vorzukommen. Ähnliches gilt für die nächste Aktion der Testbilder: Auch hier eine analytisch demonstrierende Überschreibung der aktuellen Firmenbotschaften, eine Störung (durch ein nivellierendes Lochraster), die die intendierten Werbebotschaften dem flüchtigen Blick entzieht, aber sie doch nicht so entstellt, daß sie nicht mehr zu entziffern wären. Wieder wird etwas abgefragt, getestet, was wir über das Wesen der Werbung gelernt haben (Baudrillard nennt es die Reduzierung auf ein binäres Frage/Antwort-System) und gleichzeitig wird in den schnellen, wiedererkennenden Blick die Sperre eine Distanz eingebaut, die ein Atemholen ist, ein Augenblinzeln, um die Mechanismen der Zeichensprache der Werbung durch den Blickverweigerungsraster aufzudecken. Anmerkungen

1) Die Hilfsaktion ‘Nachbar in Not’ hat gezeigt, daß eine Kombination von konkretem Verwendungszweck - in diesem Fall numerierte Lastwagen mit Hilfsgütern in die Kriegsgebiete von Ex-Jugoslawien in Verbindung mit einer Kontonummer sehr effektiv sein kann.
2) Im Pressetext zum Großplakatprojekt, herausgegeben von MEZ.
3) Art et Publicité: Centre Georges Pompidou, Paris, 1. 11 1990 -25 2. 1991.
4) Manfred Hagen, Werbung und Angriff - Politische Plakate im Wandel von hundert Jahren, in: Politische Plakate, hrsg. von Hans Bohrmann, Dortmund 1984, S. 50.
5) Jean Baudrillard, `la Vie sous vide´ in der Begleitbroschüre `Télérama´ zu der erwähnten Pariser Ausstellung, S. 6.
6) A.V. Babicev, zitiert nach Hubertus Gassner, Zwischen Revolutionskunst und sozialistischem Realismus, Köln 19979, S. 452.
7) Benjamin Buchloh, Von der Faktur zur Faktografie in Durch 6/7, Graz 1990; S.11/12.
8) Beispiel aus John A. Walker: Art in the age of mass media, Boulder 1994; S.113.
9) Interview with Les Levine by Ted Greenwald, in Les Levine: Media Projects and Public Advertisment, Mai 36 Galerie, Luzern, 1988.
10) Les Levine in einem Gespräch in Wien 1993. Diese Aussage trifft nicht ganz zu, weil gerade die Werbeflächen in der Subway seit den Bürgerinitiativen der 60 Jahre üblicherweise auch für Appelle an das soziale Verantwortungsgefühl genutzt wurden, z.B. Aufrufe zur Unterstützung von mehr qualifizierten Ausbildungsstätten für Minderheiten (‘A mind is a terrible thing to waste’) oder Nottelefone von Hilfsdiensten für die Opfer diverser Bedrohungen: sexueller Mißbrauch, Drogen, Krankheiten.
11) Vergleiche auch eine Zusammenfassung der Argumente zur Benetton Plakatwerbung in: Johannes Gawert, Reinhard Middel, Werbung ohne Tabu? Pro und Contra zur Benetton-Werbung, Frankfurt am Main 1994.
12) Stella Rollig, museum in progress, in: Im Zentrum der Peripherie, Kunstvermittlung und Vermittlungskunst in den 90er Jahren, Hg. Marius Babias, Berlin 1995, S. 314.
13) Kalt, Eine Installation von Ingeborg Strobl: Remise, Wien, 3.- 6. Dezember 1995.
14) Michael Lingner, Die Krise der ‘Ausstellung’ im System der Kunst; in Kunstforum, Bd.125 Januar/Februar 1994: Betriebssystem Kunst, S. 187.
15) Eine Assoziation, die Wolfgang Kos in seinem Katalogbeitrag zu dieser Plakataktion benutzt.
16) Da die einzelnen Plakate der Aktion so verschieden sind, schien es sinnvoll sie einzeln und in den Kommentaren der Künstlerinnen und Künstler vorzustellen. Leider war mit John Silvis ein Gespräch nicht möglich, er kommt also nicht selbst zu Wort.
17) Bei dem Plakat von Mittmannsgruber/Strauss mußte ein Hinweis auf den Anlaß aufgedruckt werden (“Ein Projekt im Rahmen des EU Jahres gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit”), weil von offizieller Seite befürchtet wurde, daß die Aussage des Plakats ohne einen solchen Hinweis mißverstanden werden könnte.
18) Der Abschnitt über John Silvis ist einem Text von Otto Mittmannsgruber und Martin Strauss entnommen.

Publikation Fremd, 1997 top