Sabine B. Vogel

Keine Werbung
Eine Städte-Kampagne: Plakate, die Fragen stellen

Produkte werden mit Sehnsüchten und Versprechen ausstaffiert. Blasse Namen werden zu Identitäten. In schier endloser Wiederholung setzt die Werbung Erkennungszeichen für Firmen und Produkte: Logo, Schriftzug, Farben. An diesem Erscheinungsbild halten die Unternehmen mit fast abergläubischer Hingabe fest. Was aber passiert, wenn ein Kunstprojekt auf dieses Allerheiligste zielt, nicht im geschützten Kunstraum, sondern auf Großplakaten im Stadtraum? Großplakate dienen normalerweise ausschließlich der Werbung. Deren Bedingungen sind simpel: höchstmögliche Reduzierung des Sujets für sekundenschnelle Eindrücke, deren Effektivität sich an Verkaufszahlen zu messen hat. Die Sprache der Werbung ist Einwegkommunikation, ein Monolog der Konsumaufforderung. Großplakate sind aber auch ein Bildmedium, das sich für künstlerische Zwecke eignet. Otto Mittmannsgruber und Martin Strauß plazieren seit drei Jahren ihre Kunstprojekte auf Wiener Plakatwänden. Der Kontext der Werbung, das Medium und dessen Nutzung, sind ihre Ausgangspunkte. Ihre Plakate stellen Fragen, lenken die Aufmerksamkeit auf das Medium und seine Bedingungen - zum Beispiel dem Zwang zur ästhetischen Unterscheidung als Waffe im Konkurrenzkampf uniformer Aussagen.

Für vier Wochen sponsert jetzt die Deutsche Städte-Reklame den beiden Künstlern über tausend Plakatflächen in Berlin, Essen, Frankfurt, Hamburg und München. Eine Menge Firmen haben die beiden Künstler im Rahmen ihres Projekts „Monolog des Vertrauens“ angeschrieben, um sie zum Verzicht auf ihr gängiges Erscheinungsbild zu bewegen, und um eine Gebühr zu erheben, die das Projekt finanziert. Nicht viele Firmen wollten den Künstlern ihr Vertrauen schenken.

Jetzt löst ,,Monolog des Vertrauens“ die visuelle Identität neun unterschiedlicher Firmen in einem gemeinsamen Bild auf. Einziges Sujet ist der Name: Ein Buchstabe pro Bogen, dargestellt in den Signalfarben Schwarz auf Gelb. Reduziert auf ihren Namen und uniformiert im neuen Rastergewand, entstehen die Marken buchstabierend neu: DASERSTE, NORDZUCKER, SOFTWAREAG. Es ist ein verwirrend klarer Auftritt, der vom Passanten nichts anderes fordert, als zu lesen. Was entsteht, ist eine kurze, werbefreie Leerstelle - ein Moment, der ungewohnt eigenständig zu füllen ist: vielleicht mit Uberlegungen zu den jeweiligen Firmenprodukten oder mit der erschreckenden Erkenntnis, daß man meist gewohnheitsmäßig an Bildtafeln einfach nur vorbeigeht.

Vielleicht schließt sich auch die Frage an: Wie weit unterscheiden sich Kunst und Werbung im Medium der Plakate? Ohne Rückendeckung durch eine Institution der Kunst und völlig unkommentiert hängen die Kunst-Plakate zwischen den Werbeflächen. An die Stelle von Versprechen setzen sie eine Uniformierung in Variationen. Solch ein Gruppenbild höchst unterschiedlicher Unternehmen in identischem Gewand ist in der Werbung unmöglich - das kann sich nur ein Kunstprojekt leisten. Denn anders als die Werbung provoziert die Kunst Fragen, die im Dialog mit den Bildern nach Antworten, nach Veränderungen suchen. Selten trifft der inzwischen zur Mode gewordene Begriff der Intervention so deutlich zu wie hier: Die Kunst-Plakate reflektieren Normen und bestehende Strukturen und kritisieren deren Verbindlichkeit. Bescheiden forden sie dazu auf, den Monolog der Werbung durch andere Bildwelten zu durchbrechen. top