Neue Zürcher Zeitung, 13. Januar 1997
Profil Nr. 51, 16. Dezember 1996
Werbewoche, Zürich, Nr. 46/20. Dezember 1996
Zuger Presse, 13. Januar 1997
Düstere Dialektik (Neue Zürcher Zeitung, 13. Januar 1997)

Selten ist es, dass Plakate nicht marktschreierisch verkünden, was gut ist für dich und für mich, sondern dass sie zu Fragen Anlass geben. Derzeit verdreht sich in Zürich und Umgebung so mancher Autofahrer und Fussgänger aber wieder einmal den Kopf - nicht nach den Nackten und den Schönen, denn H & M behält sich dafür die Adventszeit vor. Nein, Autofahrer und Fussgänger starren stimrunzelnd auf merkwürdige Konterfeis und fragen sich: Sucht die Kriminalpolizei einen Schwerverbrecher? Die Antwort lautet: Ja und Nein, ist also verwirrlich, und deshalb wollen wir etwas Licht in das Dunkel dieser Gesichter zu bringen. - Bei den Tätern handelt es sich um die beiden Wiener Aktionskünstler Otto Mittmannsgruber und Martin Strauß, bei den Opfern um Mozart, Beethoven, Schubert, Kafka, Mahler, Freud, Bachmann, Schönberg, Kokoschka, Kraus, Wittgenstein, Musil und Thomas Bernhard. Von dieser Schriftstellerin, von diesen Schriftstellern, Malern und Komponisten liessen die Täter von der Kriminalpolizei Phantombilder erstellen und von der Allgemeinen Plakatgesellschaft im Rahmen einer Goodwill-Aktion aushängen; just zu der Zeit, da das Zürcher Kunsthaus mit der grossen Österreich-Ausstellung um Besucher wirbt. Die Täter beabsichtigen, den Kult um Österreichs grosse Geister zu konterkarieren: Die Idole werden zu Verbrechern, die Mythen zu Menschen, die vor Schlimmstem nicht gefeit sind. Die Wiener Täter nennen das eine „Dialektik von Gut und Böse“. Damit die Zürcher Polizei nicht doch noch eingeschaltet werden muss, sollen sich Autofahrer aber bloss nicht zu lange von dieser Dialektik ablenken lassen. Im Vergleich zu den eindeutigen Angeboten der Firma H & M ist sie ja weitaus komplizierter - aber ist sie auch schöner? (stü.)
top


13 Tote (
Profil Nr. 51, 16. Dezember 1996)

Zwei Plakataktionen von Künstlern erregen derzeit in Wien Aufmerksamkeit — beide finden gleichzeitig auch in anderen europäischen Städten statt. Zum drittenmal setzt sich das Duo Otto Mittmannsgruber und Martin Strauss mit Phänomenen der Stadtästhetik auseinander. Das erstemal waren es Firmennamen, die ohne das vertraute Logo irritierend wirkten, ein zweitesmal wurden Werbeplakate durch einen Lochraster in Vexierbilder verwandelt. Eine jetzt in Wien und Zürich affichierte Reihe zeigt „13 Tote Österreicher“ - von Mozart über Freud bis Thomas Bernhard - allerdings nicht in den uns vertrauten Porträtgemälden oder -fotos, sondern in Phantombildern, wie sie die Kriminologie verwendet. In diesen ,,Fahndungs-Steckbriefen“ werden stereotype Rollen- und Kontextmuster von Kulturschaffenden in Frage gestellt und gleichzeitig ihre Doppelfunktion als Celebrities und Verfemte bewußt gemacht. Die zweite Plakatreihe ist die jährlich vom „museum in progress“ zusammen mit Austrian Airlines und Gewista gezeigte, an der sich heuer europlakat beteiligt. Deshalb sind die vom Schweizer Künstler Beat Streuli fotografierten ,,Visitors“ - junge, internationale Touristen als Vertreter einer nomadischen Lebensweise - erstmals nicht nur in Wien, sondern gleichzeitig in Prag, Berlin, Zürich, Frankfurt a. M. und Budapest zu sehen. top


Mozartkugeln für den Geist (
Werbewoche, Zürich, Nr. 46/20. Dezember 1996)

Auf Zürichs Plakatwänden machen derzeit Ludwig van Beethoven, Arnold Schönberg und andere auf ihre Verwendung für die offizielle Geschichtsschreibung aufmerksam. „MEZ-Stadtkommunikation“ aus Wien präsentiert ihre „13 Toten Osterreicher“ auch an Zürichs Plakatwänden.

Zwischen der glänzenden Produktewelt blicken derzeit schräge Köpfe von Zürichs Plakatstellen auf die Passanten nieder. Bei der APG war zu erfahren, dass die seltsam bekannten Gesichter, die man dennoch nicht sicher einordnen kann, im Zusammenhang stehen mit der Ausstellung „Wunderkammer Osterreich“ von Harald Szeemann. Sie ist vom 6. Dezember 1996 bis 23. Februar 1997 im Zürcher Kunsthaus zu sehen.

Sind die schwarzweiss gezeichneten Personen derzeit nur vereinzelt auf B12- und B200-Plakaten zu sehen, sollen es laut APG im Januar mehr werden. Dann nämlich will die APG den beiden österreichischen Künstlern Otto Mittmannsgruber und Martin Strauß noch mehr Leerstellen für ihre Aktion zur Verfügung stellen. Unter dem Namen „MEZ Stadtkommunikation. Verein zur Förderung der Kunst im öffentlichen Raum“ traten der Bildhauer Mittmannsgruber und der Maler Strauss bereits wiederholt an Wiener Plakatwänden in Aktion. Am Anfang der Zürcher Plakataktion stand die Milleniumsfeier „1000 Jahre Osterreich“ - Anlass für die beiden Künstler, dem Selbstverständnis ihres Vaterlandes als „Kulturnation“ etwas auf den Zahn zu fühlen. Mittmannsgruber und Strauss griffen dreizehn auch international bekannte Persönlichkeiten aus der österreichischen Kunst- und Literaturgeschichte heraus, die vom Kulturestablishment immer wieder für die Identitätsstiftung in Anspruch genommen werden. Mit den Bildern eines Robert Musil, Thomas Bernhard oder Karl Krauss begaben sie sich zur Kripo und liessen von ihnen Phantombilder anfertigen.

„Die Rolle, die ein Beethoven, Wittgenstein, Schönberg oder Freud in der offiziellen Geschichtsschreibung spielt, ist so selbstverständlich, dass man normalerweise keinen Gedanken mehr daran verschwendet“, erklärt Mittmannsgruber. „Wir verkehren die Verklärung in ihr Gegenteil. Kriminalistisch verfremdet machen die Figuren auf ihre gesellschaftliche Präparation zum Beispiel als Mozartkugeln aufmerksam.“ Als typenähnliche Robotbilder senden die Kulturheroen derzeit ihre Irritationen auch von Wiener Plakatwänden aus, wo die Szeemann-Inszenierung zuvor Station gemacht hatte. „Die Fahndungsbilder sollen zum Nachdenken darüber anregen“, führt Strauss aus, „dass niemand viel über die historischen Personen weiss und von uns gerade deshalb als frei verfügbare Figuren in Dienst genommen werden.“

Plakat als „Achtung“-Medium

Wer in gängiger Werberpraxis auf die Auflösung des Plakaträtseis wartet, wird enttäuscht. «Der Wegfall der Kaufaufforderung oder der Etikette ‘Kunst’ beunruhigt den Betrachter“, erklärt Mittmannsgruber die künstlerische Strategie. „Durch die ungelenkte Aufmerksamkeit entfalten die Plakate einen neuen Wert als Bildmedium.“
Unterstützt wird die Aktion vom österreichischen Ministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten. Die Plakatstellen in Wien stellte der österreicher Marktführer in der Aussenwerbung, Gewista, zur Verfügung, an dem die Schweizer APG beteiligt ist. top
Yves Carpy


Bekannt: das Zerrbild auf Mozartkugeln (
Zuger Presse, 13. Januar 1997)

Wo sonst Mega-Pearls, Food und Flitzer angepriesen werden, hängen Fahndungsplakate

Wo bleibt die klare Werbebotschaft? Die Fahndungsbilder, die seit einiger Zeit überall zu sehen sind, irritieren. Einer sieht aus wie Marc Rich, ein anderer wie Walter Eggenberger, der heute sein Comeback als «Cash-TV»-Moderator feiert. «Das ist interessant», sagt Otto Mittmannsgruber, einer der beiden Wiener Künstler, die für die Fahndungsplakate verantwortlich zeichnen. Interessant? Weil, wer die Persönlichkeiten nicht kennt, deren Konterfei auf aktuelle Personen projiziert: auf Politikerinnen und Politiker, Fernsehlieblinge öder Modellköpfe aus der Wirtschaft halt eben. So wird aus Robert Musil, dem österreichischen Philosophen und Schriftsteller, der 1938 nach Zürich emigriert ist, Marc Rich. Und beim Porträt Sigmund Freuds erkennen wir Ähnlichkeiten mit Walter Eggenberger - dem Zeigefinger der Nation ein Fingerzeig aus dem Unterbewusstsein? Was auch immer wir sehen oder sehen wollen: Bei den pla-katierten. Konterfeis handelt es sich um 13 verstorbene österreichische Persönlichkeiten: Bachmann, Beethoven, Bernhard, Freud, Kafka, Kokoschka, Kraus, Mahler, Mozart, Musil, Schönberg, Schubert, Wittgenstein.

Den Österreicherinnen und Österreichern geht es nicht viel besser als uns: Die wenigsten wissen, wer die abgebildeten Persönlichkeiten sind. «Das Geschichtsbewusstsein ist gering», erklärt Mittmannsgruber. «Mozart kennen die meisten wegen des Zerrbilds auf den Mozart-kugeln», stellt er lakonisch fest. Dass die Fahndungsbilder nun auch in Zürich und Zug hängen, ist der Allgemeinen Plakatgesellschaft (APG) und der Gewista zu verdanken. Letztere, Österreichs grösste Plakatfirma, hatte sich in Zürich erkundigt, ob ein Interesse an den Porträts bestehe.
Es bestand, und gleichzeitig waren Plakatwände frei. «Das ist längst nicht immer so», erklärt Roger Möschler, Direktor der Zürcher Filiale der APG. Sie hätten nämlich nicht, wie es im «Tages Anzeiger» vom 10. Januar gestanden habe, generell ein Januarloch. «Dort, wo wir Platz zur Verfügung haben, stellen wir unsere Plakatwände auch mal für karitative Zwecke zur Verfügung», sagt Möschler. «Diesmal ist es halt Kunst.» Was er ebenfalls richtig gestellt haben möchte: «Ich habe keineswegs Dutzende von Anrufen erhalten; lediglich sechs bis acht Leute wollten wissen, was die Plakate zu bedeuten haben.» Auch die Reaktionen von Eltern seien nur halb so wild, wie im «Tag» beschrieben. Zwei Mütter hätten sich beschwert, ihre Kinder fühlten sich durch die Plakate eingeschüchtert. Wen wundert‘s, die Bilder sind nämlich tatsächlich Fahndungsbil-der, erstellt in Zusammenarbeit mit der Wiener Kriminalpolizei. Aus Computer-Masken-Katalogen und der Kombination der verschiedenen Gesichtsabschnitte sind am Computer die l 3 Porträts entstanden. Der Grund: die Milleniums-Feierlichkeiten in Österreich. Dabei ergeht es Mittmannsgruber und seinem Kompagnon Martin Strauß bei ihrer Arbeit wie den meist erst posthum glorifizierten Persönlichkeiten: Künstler stehen nicht selten in einem schwierigen Verhältnis zu Staat und Gesellschaft. «In einem Land, dessen Kulturbe-trieb so stark subventioniert wird wie in Österreich, entstehen von selbst Abhängigkeiten», sagt Mittmannsgruber. Und wir sind aufgrund der österreichischen Plakate verwirrt: Wo bleibt die klare Werbebotschaft?
Barbara Schmutz top