Der Standard, 11. Januar 2002

Ein Zeigefinger wie ein Holzhamnmer
700 manipulierte Großplakate wider die gängigen Lügen der Werbung

“Trau dich doch.“ Dieser galante Schubs traf einen Gutteil der männlichen Österreicher 1981 voll ins Feuchte. Flächendeckend affichierte die Traditionsmarke Palmers eine, im Vergleich zur weichgezeichneten Kuschelware und dem “nahtlosen Charme“ der 70er-Jahre, recht speziell sachbezogene Plakatserie - und evozierte Erregung.
Offiziell war natürlich Frau angesprochen, sie solle sich trauen, vermittels die äußeren Werte betonender Dessous die eigene Sinnlichkeit zu entdecken. Merke, Frau! - “Du bist schön.“ Und wieder sah Mann sich dadurch in die Rolle des begehrten Objekts versetzt und kaufte, um diesen Zustand tage- und nächtelang aufrechterhalten zu können, sogleich seidene Boxershorts - allzeit bereit, seine Schönheit zu beweisen.
Die Fantasie der vorwiegend guten heimischen Katholiken noch weiter zu beflügeln half auch noch die dreieinige Struktur der Sujets. Palmers hatte es geschafft, seiner Werbung verdeckt das Wort “Ich“ einzuschreiben. Mit einem Schlag vergessen der halb lange Feinripp mit doppelseitigem Ausstieg, eingemottet die hygienerosa Combinage. Endlich ließ sich um Gutscheinmünzen Selbstwert im Zeitgeist kaufen. So funktioniert gelungene Werbung immer schon. Sie täuscht, behauptet, dass durch den Kaufakt der ersehnte Zufall, das Wunder, zur Realität wird. Werbung ist strategischer Kitsch. Da belebt Mineralwasser die Sinne, da findet Leidenschaft statt, da ereignet sich Karriere. Vermittels Römerquelle trinkt man sich ins Zentrum lasziver Orgien, dank Wifi überholt das “Ich“ im Nu den Chef, kann fürderhin dem Austeilen frönen, anstatt sich weiterhin magenkrank im Dulden üben zu müssen. Werden solche Wegweiser zum Heil “befleckt“ - etwa mit kommentierenden Graffitis überzogen -, tauscht der Traumanbieter sie kurzerhand gegen neue.
Was aber, wenn dem einmal nicht so ist? Otto Mittmannsgruber und Martin Strauß haben im Schutz der Werkstatt Kunst an der Oberfläche der Werbung gekratzt, um solcherart das eingeschriebene “Ich“ freizulegen. Einen Monat lang soll sich so von Wiener Plakatwänden aus das Scheinhafte an der versprochenen Befriedigung im Bewusstsein der passierenden Offenflichkeit einschreiben. Der simulierte Akt des gewaltsamen Freilegens soll mit diesem Projekt zur Aufidärung führen.
Das darf bezweifelt werden. Werbung versteckt ihre Strategien nicht und hat das auch gar nicht nötig. Ihre Mittel dürfen als ebenso allgemein bekannt vorausgesetzt werden wie die Produkte ihrer Anwendung. Einen entscheidenden Punkt lassen Mittmannsgruber und Strauß außen vor: Werbung nutzt die menschliche Eigenart, sich nicht fortwährend reinigen lassen zu wollen. Bisweilen braucht unsereins eine Katharsispause, will sich einfach rühren lassen, will reduziert auf Glückseligkeit einfach so in den Tag hineinträumen, will geborgen im Klischee ein Happyend erleben.

Markus Mittringer