Otto Mittmannsgruber

Vorwort



Die Fülle von Publikationen, aus denen der Kunstinteressierte in den letzten Jahren wählen konnte, provoziert zuallererst die Frage, ob die Leser nicht längst überfordert sind von den vielen Thesen und Meinungen, die sich darin manifestieren. Von den Verlagen häufen sich dezent die Hinweise darauf, daß ob der Vielzahl der Erscheinungen die Kunden längst die Orientierung verloren hätten, ja daß ganze Auflagen deswegen in den Lagern blieben. Wenn einem Buch dieses Schicksal widerfährt, dann wird gewissermaßen der gesamte Inhalt, der darin enthalten und verbreitet werden wollte, entgegen seiner Intention nur umso nachhaltiger in sich begraben. Der Entschluß für die Herausgabe des Buches beruht – trotz des beklagbaren Unverhältnisses von Theorieproduktion und potentieller Leserschaft – vor allem darauf, daß sich in dem umfassenden und teilweise höchst spezialisierten Themenspektrum, mit dem uns der Kunstbetrieb in den letzten Jahren konfrontiert hat, eine auffällige Lücke ausmachen läßt: die Behandlung der Kunst in den Massenmedien.
Ein thematischer Bezugsrahmen hierzu, um den sich auch der in den neunziger Jahren noch angekurbelte Diskursapparat bemühte, wäre die noch immer anhaltende Debatte um den öffentliche Raum. Dieser Erweiterung des künstlerischen Aktionsradius ging eine Kunst-am-Bau-Bewegung voraus, die beträchtliche finanzielle Ressourcen für sich erschließen konnte. Sei es nun in kritischer Reflektion zu dieser objektorientierten Kunst oder durch ihren Erfolg motiviert, wurde versucht, weitere Bereiche des Stadt– und Lebensraumes für künstlerische Positionen zu erschließen. Im Zuge des proklamierten Einzuges in das urbane Umfeld wurde das Bild eines Künstlers konstruiert, der dort draußen im Bewußtsein politischer und sozialer Verantwortung agierte. Das strapazierte Schlagwort ”Handlungsfeld” und die Rede von der ”Verhandlung”, die im Zusammenhang mit diesem Künstlertypus oft zu hören waren, wollten vielleicht evozieren, daß dieser mit den konstitutiven Kräften der Gesellschaft gleichberechtigt an einem Tisch sitzt und dort auf die Erfüllung seiner Anliegen pocht. Ob sich dieses Streben nach Mitsprache und der Entwurf eines erweiterten Projektraumes für künstlerische Aktivitäten eines Tages wirklich erfüllen lassen, das wird auch in Zukunft weiterhin eine berechtigte und spannende Frage bleiben.
Trotz der Gewichtigkeit des Themas und der damit geäußerten Ansprüche wirkt die diskursive Auseinandersetzung um das Problemfeld Öffentlichkeit noch immer beschränkt und zurückgezogen auf die inneren und avancierten Kreise der Kunst. Der Stadtraum, der in den Symposien und Informationsveranstaltungen neubewertet wurde, ist zum einen der klassische Aussenraum: Straßen, Plätze und Parks, die Peripherie, leerstehende Immobilien, Verkehrseinrichtungen, die Vorgärten von Großunternehmen, die Institutionen des öffentlichen Lebens und in den letzten Jahren auch verstärkt die sozialen Einrichtungen. Zum Großteil handelt es sich um das physisch erfahrbare Stadtgebilde. Oftmals wird dieser architektonische Körper mit dem Begriff der Öffentlichkeit vermengt. Eine reduzierende Zuordnung, zwar stimmig in der historischen Rückblende, jedoch stark eingeengt und verklärend, wenn man die heutige Mediatisierung der Öffentlichkeit in Betracht zieht. Die Massenmedien, allen voran das Fernsehen, das Radio und die Printmedien, formen maßgeblicher denn je das Bild vom Öffentlichen.
Daß innerhalb dieser aus dem Kunstbereich herausgerichteten Fragestellung die Medien eher zu einem Stiefkind geworden sind, ist zwar erstaunlich, Ursachen dafür lassen sich aber mehrere aufführen. Die Ausschließung aus der Kunst-im-Öffentlichen-Raum-Diskussion verweist noch auf eine ihrer Wurzeln, den baubezogenen Kunstbegriff, der von einer objektorientierten, skulpturalen Auffassung ausging. Der Sprung von dieser raum- oder ortsbezogenen Kunstform, zu einer Beachtung des als ortlos zu charakterisierenden Medienfeldes konnte von Spezialisten für Fassaden- und Entreegestaltungen nicht erwartet und durchgeführt werden. Noch entscheidender drückt auf diese künstlerische Enthaltung das Faktum, daß von dort keine Aufträge kommen, daß auch der Medienapparat sich in hierarchisch gegliederte Strukturen auffächern läßt, deren Einzel- und Gesamtinteressen bisher unbelegt blieben gegenüber von solchen aus dem Bereich der Kunst.
Anders als im Stadtraum, wo eine kontinuierlich nachvollziehbare Kunsthistorie auszumachen ist, waren die Interferenzen zwischen dem Medien- und dem Kunstfeld äußerst einseitig und beschränkt – reduziert auf Momente eines angewandten Kunstbegriffs. Die zunehmende Fragmentarisierung der Medien und ihre Spartenausrichtung, die den ökonomischen Gesetzen des Quotendenkens folgt (P. Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang vom ”göttlichen Gericht” für die Journalisten), bewirkte eine krasse Vereinheitlichung und Beschneidung von Inhalten, die dem Ausdruck des Anderen, des Dazwischenliegenden die Basis entzieht. Die öffentlichen Kanäle sind straff organisiert, und diese funktionelle Geschlossenheit spiegelt als organisatorisches Prinzip das Muster eines gesellschaftlichen Gemeinwesens wider, das sich dadurch umfassend und sicher von außen abzuschotten weiß. Diese Exklusionsmechanismen scheinen eine unüberwindbare Hürde darzustellen, sich in dieses System einzubringen, sowohl für die Außenstehenden als auch letztlich für die Beteiligten. Je dringlicher also der Handlungsbedarf erscheint, für die Umsetzung von differenter angelegten Sprachinteressen, desto höhergezogen sind die Mauern, die dies zu verhindern wissen.
Die Mediendiskussion, historisch fest verankert in der Kritik von Adorno und Horkheimer an der Kulturindustrie, prangerte die Gleichrichtung und Nivellierung von kulturellen Werten an. In McLuhans ”Die magischen Kanäle” ist diese Auseinandersetzung auf die Ebene einer strukturellen Analyse verschoben worden – das ”autokratisch” ausgerichtete System und sein Mißbrauch als Machtinstrument waren Angriffspunkte dieser Schrift. Niklas Luhmann untersucht in ”Die Realität der Massenmedien” die Selektionsmechanismen und geht dabei der Frage nach, wie Massenmedien Realität konstruieren. Für ihn gilt, daß sich Systemgrenzen nicht operativ überschreiten lassen. Von ihren Ursprüngen bis zur Gegenwart herauf war diese Analyse der Medien nicht nur eine deskriptiv inhaltliche, sondern geleitet von Vorstellungen, die ein Interesse an Veränderungen spürbar machten. Bourdieu deutet in seinem Band ”Über das Fernsehen” auch eine Reihe von Maßnahmen an, die geeignet wären, deren Wirkungen zu durchbrechen. Stimmen wie diese bleiben im Kunstfeld eher unbeachtet, vielleicht auch deshalb, weil ihre ideologische und idealistische Prägung in Opposition zu einem gesellschaftlichen Verhaltenskodex stehen, in der jede geäußerte Distanz den Sprechenden selbst ausgrenzt. Beteiligt sein bedeutet nicht, sich tatsächlich ”kritisch” einzumischen, sondern bejahend die herrschende Diktion aufzunehmen. Und so bleiben Ansätze, die sich aus dieser geisteswissenschaftlichen Historie nutzbringend in die Gegenwart überschlagen ließen, unbeachtet und vom Geschmack des Ideologischen behaftet.
Von renommierten Figuren der Medienkunstszene, die sich bekanntermaßen auf die Neuen Medien eingerichtet hat, wird angeführt, daß die Technisierung der Informations- und Unterhaltungsapparate eine wesentliche Zutrittsschwelle darstellte, und sie raten den Künstlern, diese Wissens- und Technikaufrüstung an sich selber vorzunehmen. Aber die empfohlene Strategie hat bisher keine Früchte getragen: die Beherrschung einer Programmiersprache, eines Layoutprogrammes, einer Videomaschine hat zwar innerhalb des Ausstellungsbetriebes zu originären und interdisziplinären Kunstwerken geführt, auf die Präsenz in den Massenmedien hatte dies aber keine Auswirkung. Sie fördern eher innerhalb der Kunst ein Spezialistentum, das sich umso mehr in spartenspezifisches Qualifikationsstreben verfangen hat. Die Technikorientierung hat auch dazu geführt, daß auf den internationalen Foren der Medienanvantgarde die beträchtlichen Kosten von Elektronikkonzernen übernommen werden, die dann als Sponsoren allgegenwärtig sind. Aus der Befreiungsstrategie wurde eine neue Abhängigkeit.
In einer von Verdrängungswettbewerb und Ressourcenknappheit bestimmten Betriebsatmosphäre haben sich im Kunstsektor die äußeren Aspekte der Exklusion, die überwiegend in der Selbstläufigkeit der Massenmedien begründet liegen, noch einmal verstärkt. Dieser Umstand drückt schwer auf die am Rande geführte Mediendiskussion. In den zentralen, meinungsbildenden Organen wird das Medienthema überwiegend in Zusammenschaltung mit anderen, und nicht wie erforderlich, als eigene Kategorie geführt. Im Fokus stehen sich überlagernde Phänomene, die über die Arbeiten von Einzelnen, über Trends des Ästhetischen usw. in den Betrieb zurückgeführt werden können. Die Medien formen gleichsam alternative Universen, aus denen wir Botschaften empfangen, die aber selbst nicht betreten werden können. Zwar werden zwischen den beiden Bereichen, Parallelen erkennbar, die sich beispielsweise in dem beiderseitigen Zwang nach Neuigkeiten festmachen lassen, in der gesamten Moderne aber war die vorherrschende Überwindung des Vorangegangenen ausschließlich auf das Innere des Systems gerichtet – als ein Mittel zur inneren Distinktion eingesetzt. Infolgedessen positionierte die Kunst sich selbst außerhalb der gesellschaftlich einflußreichen Sphären der Massenmedien. Die Thematik in ihrer Vielfalt ist unfaßbar für Spielarten, die noch immer maßgeblich die Dynamik des Kunstbetriebes steuern. Aber – die Geringschätzung (und die damit verbundene Unterschätzung) der Medien beruht auf Gegenseitigkeit: auch dort bleibt die Kunst in ihrem Möglichkeitsspektrum ausgespart. Sie existiert zwar in Form von Ereignissen, über die gelegentlich berichtet wird, als eigenständige Größe jedoch, die sich ins mediale Geschehen einmischen kann, bleibt sie nach wie vor ausgeschlossen.
Eine Skepsis gegenüber Projekten in den Medien liegt gerade in der Annahme begründet, daß sich die Kunst dort den Bedingungen der Medienbetreiber auslieferte. Angeregt wieder von betriebswirtschaftlichen Vorbildern des ”In- und Outsourcing”, wurde von der Unvereinbarkeit zweier Positionen gesprochen: der Äußerung von Kritik an einem Sachverhalt und der gleichzeitigen Annäherung an diesen. Die aufgebrachten Argumente verweisen auf das Schicksal der 60er Generation, die ehemals dem Schlagwort der Infiltrierung folgte und sich heute ihre damaligen kritischen Positionen mit verantwortungsvollen Ämtern abkaufen ließ. Allerdings läßt sich die Flagge des Widerstreits leicht von den geschützten Bereichen der Kunst heraus aufziehen, und wenn dann von Dissens gesprochen wird, so zumeist im Hinblick darauf, daß die Grenzen erst gar nicht überschritten werden müssen. Wesentlichere Fragen, wie die der Finanzierung, bleiben dann zumeist unbeantwortet.
Aus den oben angeführten Punkten wird ersichtlich, warum Künstlerinnen, die sich mit einem Massenmedium beschäftigen, immer wieder von außerhalb des Kunstbetriebes kommen. Sie bringen – unbelastet von den internen Blickvorgaben – die Freiheit mit, Problemfelder ungenierter zu erfassen und ungerichtet von den inneren Verdikten des Kunstfeldes dazu Strategien zu entwickeln. Freilich ist dieses Handeln von einer Exilposition auch in den organisatorischen Strukturen des institutionellen Kunstraumes bedingt: auf die Arbeit in den Medienfeldern sind diese nicht eingestellt. Mit wenigen Ausnahmen suchte man vergeblich eine Anlaufstelle im Galerie- oder Museumsbereich und in den vielen anderen Plattformen der Vermittlung, die initiativ und unterstützend in der Vorbereitung zu Projekten für die Medien tätig wären. So ist dies ein Bereich geblieben, in dem es eine große Anzahl von Einzelprojekten gibt, die in Eigeninitiative verwirklicht wurden. Sämtliche Arbeitsschritte, die zur Durchführung einer medienbezogenen Aktion notwendig sind, fallen dann ungeteilt dem Künstler zu. Planung und Organisation, Erschließung finanzieller Voraussetzungen, Vermittlung gegenüber Medienbetreibern, Sponsoren und allen involvierten Entscheidungsträgern, Anfertigung von digitalen Vorlagen und Überwachung printtechnischer oder filmischer Umsetzungen, Pressearbeit und Dokumentation und zuletzt auch noch die Vermittlung gegenüber dem Kunstbetrieb.
Unsere künstlerische Arbeit veranlaßte uns, den Fokus auf das weithin bekannteste Feld der Kunst in einem Massenmedium zu richten – auf das Plakat. Es ist eine Einrichtung, die an der Schwelle von der architektonischen zur medialen Wirklichkeit steht und wie eine Klammer diese zwei Begriffe des Öffentlichen umfaßt. Und es kommt den Künstlerinnen in einem anderen Punkt entgegen: es ist ein reines Bild- und Schriftmedium. Wir konnten bei der Vorbereitung für dieses Buch weder auf umfassendere textliche Quellen noch auf wissenschaftliche Abhandlungen, die etwa einzelne Arbeitsweisen zusammenfassen, zurückgreifen. Die Landkarte der künstlerischen Aktionen im Massenmedium Großplakat ist über den ganzen Zeitraum von dreißig Jahren, den dieses Buch umfaßt, eine zerrissene geblieben. Ausgehend von einigen wenigen bekannten Projekten haben wir unsere Recherche hauptsächlich auf den deutsch- und französischsprachigen Raum hin ausgelegt und Material von mehr als hundert Projekten zusammengetragen. Dabei hat sich gezeigt, daß es wesentliche länderspezifische Unterschiede gibt in der Häufigkeit von Projekten und in deren Umfang. Ausschlaggebend dafür ist jeweils die verschiedenartige Konstitution des Plakates in den einzelnen Ländern, und weil in Österreich dieses Medium im Vergleich zu den anderen Ländern eine große Dichte aufweist, gibt es gerade hierzulande eine überdurchschnittliche Anzahl an realisierte Kunstkampagnen.
Für eine wissenschaftliche Katalogisierung oder eine historisierende Einordnung von Einzelaktionen oder Gruppenprojekten ließen sich folgende Kriterien ausmachen: einmal inhaltlich gerichtete Sichtweisen, die vielleicht eine Ordnung nach Aspekten des Politischen, des Ökonomie-, Konsum- oder Sozialkritischen ergäben. Dann ein Katalog von rein formalen Eigenschaften, der die Stilmittel untersuchte: das Verhältnis von Schrift und Bild, die Verwendung bestimmter grafischer oder fotografischer Mittel, den Kontext zur Werbe- oder Kunstsprache. Aus der Struktur von Projekten, aus den Fakten Auflage und Streuung, aus der Unterscheidung nach Einzel- oder Gruppenprojekten, in den Kunstkontext eingebundenen oder von ihm unabhängigen Projekten ließen sich ebenfalls Parallelen ziehen und daraus eine Einteilung ableiten.
Dennoch haben wir auf diese Vorgangsweise verzichtet. Sie würde den Zugang zu einzelnen Aktionen stark einengen, die Projekte aus ihrem unmittelbaren, zeitlichen und örtlichen Rahmen herausnehmen und dabei in das künstliche Licht nachträglicher Geschichtsschreibung stellen. Die divergierenden Strategien und die unterschiedlichen formalen Mittel, die zu ihrer Durchsetzung angewandt werden, lassen sich in ihrer Vielfalt nur schwer in das Schema eines ausschließlich historisch geprägten Diskurses eingliedern. Eine Hierarchisierung der Projekte untereinander, eine für viele Aktionen unzulässige Unter- oder Zuordnung zu kunstinternen Problemstellungen wäre wahrscheinlich die Folge.
Unser Ziel war es, einen breiter angelegten Rundumblick auf das Problemfeld des Kunstplakates zu ermöglichen: ein Bild von den Bedingungen, die für künstlerische Handlungsformen in diesem Massenmedium gelten, und darin eingebettet die einzelnen Projekte mit ihren Vorschlägen. So entstand die vorliegende Form, in der die essayistischen Beiträge den ersten Teil des Buches einnehmen und der zweite Teil eine Reihe von einzelnen künstlerischen Positionen präsentiert: in Interviews oder in kurzen Texten, die sich jeweils einer Werkgruppe widmen. Diese Gespräche schienen angebracht, da in diesem Medium wie – schon erwähnt – die KünstlerInnen sehr oft als Einzelpersonen in Erscheinung treten, abgekoppelt vom Organisationsbereich der Kunst. Und weil das Plakat gewöhnlich ein reines Werbemedium ist, schien es auch sinnvoll, Vertreter der Branche zum Thema zu befragen. Selbstverständlich ist eine vollständige Auflistung aller künstlerischen Plakatprojekte auch nur der jüngsten Zeit weder möglich noch gewünscht, und so spielten für die Auswahl auch subjektive Kriterien seitens der Herausgeber eine Rolle. Neben den KünstlerInnen, die historisch als erste sich des Mediums Großplakat bedienten, und jenen, die vorwiegend mit und in diesem Medium arbeiten, wählten wir solche, die effektvoll oder kontroversiell mit einzelnen Plakataktionen auffielen.

Unser Dank gilt allen Beteiligten, vor allem den AutorInnen und KünstlerInnen, die durch ihre Mitarbeit dieses Buch erst ermöglichten.


Otto Mittmannsgruber