Sabine B. Vogel sprach mit den Künstlern anlässlich der Publikation "Plakat-Kunst", Wien, 2000.

Otto Mittmannsgruber und Martin Strauß. Seit 1995 entwickeln die beiden Künstler, parallel zu ihrer individuellen künstlerischen Arbeit, gemeinsame Projekte für Großplakate und Printmedien. Ihre interventionistischen Plakatkampagnen, die sie bislang in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchführten, sind vor allem durch zwei strukturelle Eigenheiten gekennzeichnet: eine serielle Ausrichtung, wobei eine Aktion bis zu zwanzig verschiedene Sujets umfaßt, und damit verknüpft eine im Vergleich zu anderen Kunstprojekten in diesem Medium hohe Streuung, die Stückzahlen von durchschnittlich tausend Plakaten erreicht. Sämtliche Projekte werden in Eigeninitiative, abgekoppelt vom Organisationsrahmen der Kunst, realisiert. Die Kampagnen von Mittmannsgruber/Strauß betreiben auf ungewöhnliche Weise eine Hinterfragung des Werbekontexts und greifen hierfür auch unmittelbar auf schon bestehende Reklameplakate ein. In der Umsetzung ihrer Ideen agieren die Künstler nicht – wie das etwa in den achtziger Jahren noch der Fall war – anonym und aus dem Untergrund heraus, sondern stellen sich den werbenden Firmen, den Agenturen und den Medienbetreibern als Gesprächspartner gegenüber. Der Großteil ihrer Projekte bliebe ohne diese vorhergehende Abklärung rechtlich und logistisch undurchführbar, denn die Themen der Plakataktionen berühren die zentralen Funktionsmechanismen heutiger Werbung: Fragen der ”Corporate Identity” und, was das Verhalten der Konsumenten betrifft, Strategien der Uniformierung und Konditionierung. Allerdings treten die Künstler niemals an ein einzelnes, sondern immer an eine größere Zahl von Unternehmen heran. Durch diese Vorgangsweise haben sich Mittmannsgruber und Strauß neue Voraussetzungen für ihr künstlerisches Handeln innerhalb des Plakatmediums geschaffen. In ihren Kampagnen werden die nach außen hin scheinbar divergenten Positionen der kommerziellen Wettbewerber in ihrer Gemeinsamkeit erfaßt und in ein Ganzes gebunden. Ziel dieser Aktionen ist die Aufschlüsselung der Strategien, die steuernd verschiedene Wesensmerkmale des Werbeumfelds bestimmen. Neben jenen konkret auf den kommerziellen Kontext gerichteten Arbeiten entstanden auch anlaßbezogene Projekte, so etwa eine Plakataktion zur Tausendjahrfeier Österreichs, bei der die Porträts von verstorbenen Größen aus Kunst und Kultur, mit denen man sich bei solchen Anläßen gerne brüstet, als Phantomzeichnungen und Fahndungsbilder öffentlich angeschlagen wurden; oder eine Kampagne mit dem Titel ”Fremd”, bei der eine Reihe von in Österreich lebenden ausländischen KünstlerInnen eingeladen wurde, Plakate zum Thema Fremdenfeindlichkeit zu entwerfen. Sabine B. Vogel führte das folgende Interview.


Vogel: Eines eurer Arbeitsfelder sind öffentliche Plakatwände. Warum wählt ihr dieses Medium?

Mittmannsgruber: Plakate prägen unübersehbar den städtischen Raum. Es ist das Bildmedium in der Stadt und, besonders in Österreich, eines mit großer Reichweite: Es wird von allen wahrgenommen.
Vogel: Besteht in diesem Medium nicht die Gefahr, sich der Werbung zu sehr anzunähern?

Mittmannsgruber: Das Großplakat ist ein reines Werbemedium. In diesem Medium als Künstler zu arbeiten bedeutet, daß nicht die Werbung in die Kunst, sondern die Kunst ins Territorium der Werbung geht. Zudem ist es ein Medium, in dem eigene Rezeptionsbedingungen herrschen. Ob Werbung oder künstlerisches Plakat, es muß einfach sein, um in einem relativ kurzen Zeitraum von den Passanten verstanden zu werden.

Strauß: Das heißt nicht, daß hier jede Komplexität unmöglich wird. Das Medium gibt zwar eine sehr schnelle Rezeption vor, und dies macht zur Bedingung: Der erste Blick des Betrachters muß durch starke Signale, durch visuell einfach faßbares Material angesteckt werden. Was allerdings hinter dieser Oberfläche des Plakativen steht, ist eine andere Sache.

Vogel: Konkret gefragt: Was wollt und könnt Ihr in diesem Medium transportieren? Nehmen wir das Beispiel der ”Dreizehn Toten Österreicher”.

Mittmannsgruber: Die Aktion (siehe Abbildung Seite 112) nahm Bezug auf die völlig einseitige Wahrnehmung innerhalb des Werbemediums. Die Fahndungsbilder von österreichischen Kulturheroen entzogen sich der geschönten Warenwelt, als Klischeebilder anderer Art standen sie in Opposition zum Tenor des Mediums. Es sind Störbilder. Aber darüber hinaus sind es auch unbewußte Spiegelbilder, immer vorhanden, aber nicht präsent.

Vogel: Was stört?
Mittmannsgruber: Die Bilder ließen sich nicht auflösen in Richtung einer hier erwarteten Werbebotschaft. Kein Absender war gegeben, nur eine Telefonnummer, wie dies bei Fahndungen üblich ist.

Strauß: Werbeplakate sind ja immer noch auf die Formel zu bringen: schöne Frauen, Tiere und Kinder. Das ein wenig Unheimliche und auch Häßliche dieser Porträts, die plumpe Schwarz-Weiß-Grafik standen dazu in einem starken ästhetischen Kontrast.

Mittmannsgruber: Dem Betrachter war die Möglichkeit geboten, eine Spur aufzunehmen, allerdings eine, die unmöglich in Werbung enden konnte. Das unbewußte Überspringen einer Botschaft funktionierte hier, wie die zahlreichen Anrufe zeigten, trotzdem sehr schnell.

Vogel: Ihr sprecht von Botschaften. Könnt ihr die benennen?

Strauß: Wir wollen keine spezifisch zugerichteten Informationen geben, sondern in erster Linie Reflexionsangebote und -möglichkeiten für die Passanten. In diesem Medium zielt sonst nichts auf Reflexion, weil alles auf die Botschaft Kaufen/Konsumieren ausgerichtet ist. Das funktioniert immer gleich: ein Bild, ein Slogan, eine kleine zusätzliche ”Information”. Werbeplakate zielen auf konditionierte, nicht auf reflektierende Betrachter.

Vogel: Läßt sich eine klare Trennung zwischen Künstlerplakaten und Werbeplakaten ziehen?

Strauß: Eine erste Differenz, die mit den völlig anders gearteten Zielen von Künstlerplakaten noch nichts zu tun hat und gerne übersehen wird, liegt in den ökonomischen Bedingungen. Das Medium ist sehr teuer. Darum werden Plakate von Künstlerinnen und Künstlern gewöhnlich nur in geringer Stückzahl affichiert, meist weniger als hundert. Unsere Kampagnen haben Streuungen um die tausend Stück, weil bei ihnen ein tatsächliches Einklinken in das Medium unabdingbar ist.

Mittmannsgruber: Aber die absolute Zahl sagt so gut wie gar nichts. Die Plazierung, wo und auf welchen Plakatstellen in der Stadt, ist mindestens genauso wichtig. Der entscheidende Unterschied zur Werbung besteht selbstverständlich in der Intention: Werbung verfolgt, auch wenn sie noch so ungewöhnlich daherkommt, als einziges Gebot das kommerzielle Interesse. Konkret heißt das: Wo immer auf einem Plakat ein Firmenlogo gedruckt steht, geht es um´s Verkaufen.

Vogel: Ihr stellt in einem Konzepttext zur Diskussion, ”ob künstlerische Interventionen in einem Massenmedium eine gesellschaftliche Wirkung haben können”. Welche wäre das?

Mittmannsgruber: Niemand wird die Wirkung des Großplakates – das ist im Normalfall eben die der Werbung – ernsthaft bezweifeln. Wenn es gelänge, das Medium für Kunst zu funktionalisieren, dürfte man schon aus diesem Grund eine erweiterte Wirksamkeit erwarten. Deshalb ist es sinnvoll, stärker die kulturpolische Forderung nach einer Öffnung an das Medium Plakat zu richten. Ich sehe darin eine wesentliche Chance und Möglichkeit für die Kunst, auf der Straße tatsächlich Stellung zu beziehen.

Strauß: Der kommerzielle Status quo sieht natürlich anders aus. Das gesamte Medium Plakat ist ein reiner Fiktionsraum für konkurrenzierende Marken- und Produktimages. Dieser Sachverhalt ist der allererste Bezugspunkt unserer Plakataktionen. Sie reflektieren unmittelbar die Rahmenbedingungen, indem sie eine Gegenstrategie einschlagen. Die Kenntnis aktueller Diskussionen im Kunstbetrieb ist deshalb keine stillschweigend verlangte Bedingung zum Verständnis unserer Arbeiten. ”Monolog des Vertrauens” zum Beispiel war streng auf den Kontext hin konzipiert, den Zeichenraum Werbeplakat. Wir überführen nicht Kunst von einer Galerie oder Museum auf Plakatwände, wir transportieren nicht Ideen aus dem diskursiven Raum ”Kunst” in ein Kommerzmedium. Hauptintention ist vielmehr, über das Medium selbst zu sprechen.

Vogel: Das heißt, euer diskursiver, reflexiver und visueller Bezugspunkt ist die Werbung?

Mittmannsgruber: Ein leitender Begriff für uns ist eher ”Kommunikation”, eine zur Werbung alternative natürlich.

Vogel: Ist ”Kommunikation” nicht selbst ein Verkaufsschlagwort?

Mittmannsgruber: Der Einzelne erkennt sich in der Kommunikation von Werbung nicht, sie betrifft den Betrachter nicht direkt. Als Ersatz oder Einlösung der nicht zustande kommenden Kommunikation steht der spätere Kauf der beworbenen Produkte.

Vogel: Ist denn eine tatsächlich kritische Sprechweise möglich, obwohl Eure Aktionen doch auf Kooperation mit Firmen basieren? Sind sie aus diesem Grund nicht auch und automatisch Werbung?

Mittmannsgruber: Deshalb werden Vorsichtsmaßnahmen getroffen, die dem Sog der Werbung entgegenwirken. Oder besser, die Aktionen sind so angelegt, daß wesentliche Werbeprinzipien konterkariert werden. Der überstrapazierte Begriff der Intervention paßt hier. Diese Plakate gehen dazwischen, machen eine Differenz sichtbar. Entscheidend bei unseren Projekten mit Unternehmen ist, daß jeweils bis zu zwanzig verschiedene Firmen involviert werden und vor allem, was ihre Repräsentation auf den Plakaten betrifft, dann alle derselben Uniformierung unterworfen sind. Die Unternehmen, die sich normalerweise in diesem Medium selbst darstellen, werden hier gewissermaßen zu Dargestellten. Eine Art Gruppenbild entsteht. Und das geschieht auf immerhin tausend Plakatstellen, sodaß jedem Passanten dieser Zusammenhang klar wird.

Strauß: Ein einzelnes unserer Plakate könnte vielleicht noch als Werbung mißverstanden werden. Aber es wird eben nicht ein einziges Sujet tausendmal affichiert, sondern zwanzig verschiedene Sujets in Serie. Wir agieren in einer der Werbung völlig widersprechenden Weise, wenn wir die Spieler in diesem Feld uniform darstellen. Eine Repräsentation wird aufgelöst, die sonst immer auf den Schein individueller Identität abzielt: Die Unternehmen, die sich in Ihrem gemeinsamen Interesse ohnehin gleichen, sind plötzlich auch ästhetisch eins geworden. Unsere Projekte realisieren ein Mitspielen in einem medialen Kontext, aber eines nach selbst gewählten Bedingungen. Ein Spiel, das die im Werbeumfeld wesentlichen Mechanismen dreht und ins Leere laufen läßt – oder in die Reflexion.
Vogel: Zahlen die Firmen für ihre Beteiligung an euren Aktionen, dafür, daß mit ihren Namen oder Werbeplakaten so verfahren wird?

Strauß: Die Firmen leisten, wenn wir sie von einer Teilnahme überzeugen können, einen relativ geringen Beitrag, der unter dem reinen Medienwert liegt und der die Finanzierung des Projekts ermöglicht. Für den Werbetechniker haben unsere Kampagnen zwar keinen Werbewert, aber dieses Finanzierungsschema wiederholt die ökonomischen Bedingungen des Mediums und trägt dazu bei, den Unternehmen gegenüber ”professioneller” aufzutreten.

Vogel: Bedeutet euch die unterschiedliche Wahrnehmung eurer Arbeit als Kunst oder als Werbung ein Plus oder ein Manko?

Mittmannsgruber: Wenn die Wahrnehmung als Kunst dem Verständnis unserer Arbeiten dient, ist sie uns recht. Wenn der Blick durch die ”Kunstbrille” dazu führt, entscheidende Kriterien zu ignorieren, ist eine derartige Rezeption eher kontraproduktiv. Eine Beurteilung nur nach Maßgabe eines galerie- oder museumsausgerichteten Kunstbegriffs führt dazu, die Bezugnahme auf die Stuktur des Mediums völlig zu übersehen.

Strauß: Andererseits machen wir selbst für unsere Plakataktionen durchaus den Begriff Kunst geltend, denn was sonst wäre in der Lage, derartige Differenzphänomene in einen sozialen Medienraum zu plazieren, wie wir das tun. Eine Wahrnehmung als Kunst geschieht natürlich, wenn unsere Projekte im Kulturteil der Tagespresse besprochen werden. Aber was die unmittelbare Rezeption vor Ort angeht, sollte keine Abhängigkeit vom Kunstkontext bestehen. Wer sich auch auf der Straße, bewußt oder unbewußt, ausschließlich an die Vorinformierten wendet, wird höchstens ineffizient bleiben. Da wäre ein Verbleib in der Galerie zielgerichteter. Entscheidend ist vielmehr, ob es dem Künstler, der Künstlerin gelingt, hier eine andere Art der Kommunikation als die schon gegebene anzubieten. Wichtig scheint mir, daß die Form von Medienkritik, wie wir sie versuchen, tatsächlich nur innerhalb des Mediums selbst möglich ist.

Mittmannsgruber: Du hast in einem Katalog der Wiener Sezession geschrieben: ”Kunst reflektiert Normen, bestehende Strukturen und kritisiert sie in ihrer Befindlichkeit.” Genau das geschieht hier. Ausschlaggebend bei unseren Aktionen ist, daß wir selber die Initiative ergreifen und nicht im Auftrag von jemandem oder einer Institution handeln. Wir selbst bestimmen die Aktionsbedingungen und bleiben auch autonom, was die finanzielle Konstruktion anbelangt. Das künstlerische Agieren in diesem Medium, wo alles vorgegeben, vorhersehbar und kalkulierbar ist, wird in dem Moment interessant, in dem das Unvorhergesehene beginnt. top